Bauernstruktur

Knochenschwäche im Schach.

Als "Figuren" bezeichnet der Schachspieler eigentlich nur König, Dame, Türme, Läufer und Springer. Die Bauern zählen extra. Gerade Anfänger sind völlig auf die Figuren fixiert und versuchen fast ausschließlich mit ihnen ein Matt zu erzielen. Das reicht dann aber, wenn überhaupt, nur gegen schwächere Gegner, die sich noch relativ leicht überrumpeln lassen. Der fortgeschrittene Spieler muss auch das Bauernspiel beherrschen, nur beides zusammen bringt den Erfolg.

Worüber wir hier noch nicht reden wollen ist das Endspiel. Da ist die Umwandlung der Bauern natürlich von elementarer Bedeutung für den Spielausgang. Auch Bauernstürme mit Turmunterstützung interessieren uns hier nicht. Wir wollen mehr auf die Eröffnung und das Mittelspiel schauen und welche elementare Funktion die Bauern dabei erfüllen. Sie bilden die Strukturen, man könnte sagen, das Skelett der Stellung. Ich gebe euch den Tipp euch immer während des Spiels mal alle Figuren wegzudenken und nur auf die Bauern zu schauen. Bilden sie zusammenhängende Bauernketten oder einzelne Inseln? Decken sich alle? Beherrscht man das Zentrum? Ist man irgendwo in der Überzahl? Gibt es Lücken? Sind einzelne zu weit vorgestürmt?

Um solche Fragen beantworten zu können, muss man sich verdeutlichen, was man eigentlich genau verhindern sollte bei den Bauernstrukturen. Oder auch wie man dem Gegner richtig schaden kann. Also los:

Hier die erste Stellung, die noch relativ normal aussieht. Weiß ahnt noch nicht, was ihm gleich blüht. Habt ihr eine Idee für Schwarz?

Bauernstruktur.

Solange man keinen Materialvorsprung hat, sollte man eigentlich keine Figuren tauschen. Man sollte immer versuchen, eine Stellung kompliziert zu halten, schwierig zu halten und einfach geduldig umzugruppieren und/oder den Gegner weiter einzuschränken. Irgendwann wird sich das auszahlen, der Druck auf den Gegner zu groß werden und man wird in Vorteil geraten. Zumeist auch sofort in Verbindung mit Materialgewinn. Aber eine Stellung oben schreit nach Abtäuschen, weil man dadurch die Bauernstruktur des Gegners nachhaltig zerstören kann. Nach 1. ... Lxa3 2. bxa3 Sxc4 3. dxc4 haben wir folgende Stellung:

Bauernstruktur.

Weiß hat jetzt Doppelbauern verpasst bekommen. Doppelbauern sind fast immer schlecht, weil sie sich nicht mehr gegenseitig decken können. Das heißt, dass man sie jetzt aufwendig mit Figuren schützen muss, es werden also Kräfte gebunden, die man woanders gut gebrauchen könnte. Auch umwandeln kann man solche Bauern viel schwieriger, weil der Vordere dem Hinteren ständig im Weg rumsteht. Hier auch einmal das Bild ohne Figuren, nur mit den Bauern, damit die kaputte Struktur noch deutlicher wird:

Bauernstruktur.

Noch ein kleines Problem hat Weiß in dieser Stellung. Ein Doppelbauernpaar besteht jetzt sogar aus Randbauern, so nennt man Bauern auf der a- oder h-Linie. Randbauern sind immer schwerer umzuwandeln als Zentrumsbauern, deshalb kann man sich auch grob merken, dass man mit Bauern immer versuchen sollte in Richtung Zentrum zu schlagen und nicht Richtung Rand. Aber verzetteln wir uns jetzt nicht zu sehr in Details, kommen wir lieber zur nächsten Schwäche, dem Isolani. Nach 1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sd2 c5 haben wir folgende Stellung:

Bauernstruktur.

Hier hat Weiß jetzt die Chance Schwarz einen Isolani zu verpassen, so nennt man einen Bauern, der auf den benachbarten Linien keinen anderen eigenen Bauern mehr hat. Konkret könnte es mit den Zügen 4. exd5 exd5 5. dxc5 Lxc5 zum Isolani auf d5 kommen:

Bauernstruktur.

Und jetzt startet die Diskussion: Ist solch ein Bauer wirklich eine Schwäche, weil man ihn jetzt mit höherwertigen Figuren decken muss? Oder ist es eventuell sogar eine Stärke, weil man durch ihn Raum gewinnt, den Gegner einengt und später eventuell zur Umwandlung durchlaufen kann? Wie immer kommt es auf die konkrete Situation an und keine Regel ohne Ausnahme. Versucht am besten Isolanis so zu blockieren, dass sie auf Feldern zum Stehen kommen, auf denen ihr sie mit mehreren Figuren angreifen und gewinnen könnt. Und wenn das klappt, dann war es definitiv eine Schwäche, auch ohne Diskussion.

Eine weitere Schwäche wäre mir noch wichtig, rückständige Bauern. In folgender Stellung ist der Bauer auf c3 rückständig, weil er von keinem benachbarten Bauern unterstützt wird:

Bauernstruktur.

Solch ein Bauer ist schwach, weil er von Figuren gedeckt werden muss und ohne die Unterstützung seiner Kollegen auch nicht vorrücken kann. Ideale Taktik für Schwarz wäre jetzt den rückständigen Bauer mit 1. ... d5 am Vorrücken zu hindern und ihn dann mit seinem Läufer anzugreifen. Nach 2. Kf2 La5 wäre die Stellung schon verloren für Weiß:

Bauernstruktur.

Rückständige Bauern treten aber nicht nur im Endspiel auf, sondern auch schon in der Eröffnung oder dem frühen Mittelspiel. Passt also ein bisschen auf, gerade bei halboffenen Linien und nutzt die Chance solche schwachen Bauern festzulegen, anzugreifen oder euch mit einer Leichtfigur direkt vor ihnen zu platzieren um einen sicheren Außenposten im Lager des Gegners zu haben.

Jetzt aber genug von Schwächen, eine Stärke wollen wir uns zum Abschluss noch gönnen. Warum ist folgende Stellung für Weiß gewonnen?

Bauernstruktur.

Richtig! Weil Weiß Freibauern hat. Das sind Bauern, die bis zum Umwandlungsfeld von keinem gegnerischen Bauern geschlagen werden können. Der Bauer auf b4 ist ein entfernter Freibauer und der auf g5 ist ein gedeckter Freibauer. Schwarz könnte problemlos beide abfangen mit seinem König. Aber eben nicht beide auf einmal. Und sich solche Freibauern zu verschaffen, wäre ein echtes Plus.


Hinweis: Im Gegensatz zu den Figuren können Bauern nicht zurückziehen. Deshalb muss man bei Bauernzügen immer ganz genau vorher überlegen, ob man nicht gerade seine eigene Stellung schwächt. Das mag in der Eröffnung oder dem Mittelspiel noch nicht einmal so sehr auffallen, spätestens im Endspiel wird sich eine kaputte Bauernstruktur aber rächen. Und wenn ihr selber die Chance habt, dem Gegner zu schaden, tut es auch und hängt nicht zu sehr an euren Figuren. Chancen muss man nutzen, auch kleine Vorteile addieren sich oft zu einem großen Gewinn!