Die Mauer muss weg!
Die Berliner Schachgesellschaft von 1827 ist der älteste noch existierende Schachverein Deutschlands und vereinte eine Reihe starker Schachspieler wie Ludwig Bledow, Rudolph von Bilguer, Bernhardt Horwitz oder Tassilo von Heydebrand und der Lasa. Das besondere war aber nicht alleine ihre Spielstärke, sondern das theoretische und publizistische Wirken. Auf sie geht nicht nur die Gründung der Berliner und später Deutschen Schachzeitung zurück, sondern auch Schachklassiker wie das "Handbuch des Schachspiels".
Die schachtheoretische Vorreiterrolle blieb auch noch in der zweiten Hälfte des 19.ten Jahrhunderts erhalten, als Größen wie Andersen, Zukertort oder Lasker dem Verein angehörten. Solche Namen waren natürlich auch Garant dafür, dass man noch auf lange Zeit mit Abstand spielstärkster Verein in Deutschland bliebt. Erst in der Neuzeit hat man sich aus dem Spitzensport verabschiedet und backt wieder kleinere Berliner Brötchen.
Immerhin hat man sich mit der Berliner Verteidigung in der absoluten Weltspitze halten können, kaum eine andere Variante wird heutzutage so gerne auf allerhöchsten Niveau in der Spanischen Eröffnung von Schwarz gespielt. Nach 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 haben wir die Spanische Eröffnung und nach 3. ... Sf6 sind wir in der Ausgangsstellung der Berliner Verteidigung:
Dieser Zug, der den weißen Bauern auf e4 bedroht, wurde von den Berliner Schachmeistern für so gut befunden, dass man fand Schwarz hätte hier nach wenigen Zügen bereits Ausgleich erreicht in der Eröffnung. Vielleicht etwas optimistisch aus heutiger Sicht. Aber als dann später auch noch Andersen oder Lasker 3. ... Sf6 spielten, erlebte die Berliner Verteidigung einen regelrechten Schachboom, nicht nur auf Turnierebene, sondern auch auf allerhöchstem Niveau in vielen Weltmeisterschaftspartien bis Ende des 19.ten Jahrhunderts/Anfang des 20.ten Jahrhunderts.
Man muss aber auch sagen, dass der Erfolg in den WM-Kämpfen doch eher zweifelhafter Natur war. Weiß spielte oft 4. d3 oder 4. Sc3 und ein Lasker, der sie sowohl gegen Steinitz als auch gegen Tarrasch anwandte, konnte keinen Blumentopf mit ihr gewinnen. Keine gute Werbung, die Berliner Verteidigung verschwand für 100 Jahre von der Bildfläche. Bis Kramnik kam ...
Vladimir Kramnik war im WM-Kampf 2000 klarer Außenseiter und suchte nach einer Waffe, die den genialen Kasparow entnerven sollte. Eine Remiswaffe. Und Kramnik fand sie. Es war die Berliner Verteidigung. Vier Mal kam die Variante aufs Brett, jedesmal musste sich Kasparow mit einer Punkteteilung begnügen und seitdem ist sie wieder ungeheuer populär geworden, vor allem Carlsen und Anand nutzten sie schon fast exzessiv.
Eine spezielle Abspielfolge aus dem WM-Kampf von 2000 wollen wir uns noch anschauen. Hier spielte Weiß 4. 0-0, neben 4. d3 und 4. Sc3 die dritte beliebte Fortsetzung für Weiß:
Nach 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 Sf6 4. 0-0 Sxe4 5. d4 Sd6 6. Lxc6 dxc6 7. dxe5 Sf5 8. Dxd8+ Kxd8 ergibt sich folgende Stellung, die Kramnik so sicher zum Remis führte, dass sie anerkennend "Berliner Mauer" getauft wurde:
Na klar, Schwarz musste Nachteile hinnehmen. Er kann z.B. nicht mehr rochieren. Und Weiß könnte auch noch mit Tempo seinen Turm nach d1 entwickeln. Aber ohne die Damen auf dem Brett ist das auch alles nicht mehr so ganz gefährlich für den schwarzen König, er geht dann einfach nach e8 zurück. Und er muss die Türme nicht unbedingt in die Mitte bringen. Der Turm auf h8 kann von dort ja ideal einen Bauernsturm auf die gegnerische Königsstellung unterstützen. Merkt ihr schon, wieso Kasparow damals so frustriert war?
Analysieren wir noch zuende, Thema Bauernstruktur. Scharz hat einen Doppelbauern und Weiß eine Bauernmehrheit am Königsflügel. Beides Negativ für Schwarz. Es gibt jedoch ein Aber. Schwarz hat das Läuferpaar, das ist ein echter Vorteil. Und beide können sich gut entwickeln. Zudem hängt der weiße Bauer auf e5 fest, steht dem eigenen Läufer auf einem schwarzen Feld im Weg herum und könnte später einmal ernsthaft angegriffen werden.
Fazit: Berlin, eine Weltstadt? Berliner Verteidigung, eine Weltmeister-Eröffnung!